| Über den Tonnenrand geschaut
Trash Hero Kids und Precious Plastic Bangkok
Moby Dick ist gut genährt – so scheint es. Tintenfische, das „tägliche Brot“ des mächtigen Pottwals, gibt es in Hülle und Fülle vor den Küsten Thailands. Es sind allerdings keine Kalmare, die sich in seinem Bauch befinden. Es ist kiloweise Plastikmüll. Auch den gibt es im Überfluss in der Andamanensee und im Golf von Siam. Laut der US-amerikanischen Umweltorganisation „Ocean Conservancy“ gehört Thailand zu den fünf größten Verschmutzern der Weltmeere mit Kunststoffabfällen. Das zu ändern, ist eine Herkulesaufgabe. Umweltbewusstsein zu schaffen ebenfalls. Wie in vielen Ländern der Erde, in denen ein Großteil der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt, hinkt Thailand bei der Umwelterziehung und in der Folge der Abfallvermeidung weit hinterher. Bei einem Bruttonationaleinkommen pro Kopf und Jahr von etwas mehr als 7.000 US-Dollar – zum Vergleich: in Deutschland knapp 50.000 US-Dollar (Quelle: Statistisches Bundesamt 2019) – ist das tägliche Überleben wichtiger als nachhaltiges Müll-Management. Dennoch war Thailand vor nunmehr zwei Jahren so „grün“ wie nie und die Regierung kurz davor, zumindest Einweg-Plastik aus Geschäften und Supermärkten zu verbannen. Dann kam Covid-19. Und der Mehrfach Gebrauch von Kunststoffbehältnissen und -verpackungen war plötzlich wieder verpönt.
Graswurzelarbeit an den Stränden
Dennoch haben einige Organisationen und Unternehmen in dem südostasiatischen Königreich nicht aufgehört, Graswurzelarbeit zu leisten. Und so heißen sie auch: Die „GrassrootsInitiative“ ist ein loser Zusammenschluss von Gruppierungen, die sich unter anderem den Kampf für das Klima, für Nachhaltigkeit, für Biodiversität, für den sensiblen Umgang mit natürlichen Ressourcen und gegen die Verschmutzung der Umwelt auf die Fahnen geschrieben haben.
Das „Trash Hero Kids Movement“ ist eines dieser Netzwerke, das das Müllproblem im wahrsten Sinne des Wortes selbst in die Hand nimmt. Die Initiative operiert zwar global, ist in
Thailand aber besonders engagiert. Unter anderem werden Aktionstage für Kinder an den Stränden zum Sammeln von Müll veranstaltet, Programme zur Umwelterziehung initiiert
und in kindgerechtem Ton die Problematik von Einweg-Kunststoffen aufgezeigt. Etwa, wie schädlich Plastik-Strohhalme sind – vor allem für die Meeresbewohner. O-Ton: „Sie werden nur für ein paar Minuten benutzt, verschmutzen danach aber den Planeten für Hunderte von Jahren.“ Die kleinen Thais sollen daran denken, wenn sie das nächste Mal im Fastfood-Restaurant zur Cola einen Strohhalm bekommen – und ihn ablehnen, lehrt etwa das YouTube-Video „Say No To Straws“.
Blumentöpfe aus Schraubverschlüssen
Die „Trash Heroes“ operieren bei ihrem Kampf gegen die Abfallberge dennoch nicht mit Verboten, sondern vielmehr mit einer geschickten Sensibilisierung für das Thema. So soll beispielsweise ein Abfalltagebuch dabei helfen, den Gebrauch von Plastik zu reduzieren. Die Kinder halten darin eine Woche lang (oder länger) – alleine zu Hause oder gemeinsam in
ihrer Schulklasse – fest, wie viele verschiedene Plastikstücke sie täglich in die Tonne werfen. Schließlich werden sie gefragt, was davon reduziert, was wiederverwertet und was recycelt werden kann. Apropos Recycling: Das ist die Sache von Precious Plastic Bangkok. Die Non-Profit-Initiative des 30-jährigen Umwelt-Aktivisten Dominic Chakrabongse, der an der London School of Economics Umweltpolitik studiert hat, begann 2017 damit, in der thailändischen 70-Millionen-Metropole ein Netz für die Abgabe von Alt-Plastik einzurichten – schließlich wächst das Aufkommen von Plastikmüll in Thailand nach seinen Angaben jährlich um zwölf Prozent oder zwei Millionen Tonnen. Das Precious-Plastic-Team konzentriert sich bei seinen Sammel-Aktivitäten unter anderem auf Flaschenverschlüsse. Sie landen in einem Schredder, werden darin zu Kunststoffflocken verarbeitet und in einer zweiten Maschine, dem sogenannten Extruder, geschmolzen und zu langen Fäden verarbeitet. Daraus werden eine Reihe verschiedener Lifestyle-Produkte, wie bunte Schalen, Lampenschirme und Blumentöpfe, hergestellt, die auf Veranstaltungen und Messen verkauft werden. Mit dem Erlös erwirbt die Initiative weitere Maschinen, die sie in den verschiedenen Stadtteilen Bangkoks aufstellt und so die Möglichkeit, Plastik zu recyceln, quasi vor die Haustüren der Bürger bringt.
Sieben thailändische Großstädte sind im Boot
Damit lässt es Umweltschützer Dominic Chakrabongse aber nicht gut sein. Parallel zu seinem Engagement in der thailändischen Hauptstadt veranstaltet er Workshops zum Thema „Upcycling“ gebrauchter Kunststoffe, um Gleichgesinnte zu gewinnen und seine Idee ins ganze Land zu transportieren. Unter anderem konnte er damit auch das Goethe-Institut
Bangkok und die dortige UN-Niederlassung begeistern, die öffentlichkeitswirksam mit den Geräten arbeiten. Der Aufwand halte sich in Grenzen, sagt er, die notwendigen Maschinen seien einfach zusammenzubauen, der Erfolg sei zählbar. So seien bereits Umwelt-Gruppen in sieben anderen thailändischen Städten aktiv geworden und arbeiteten nach
dem gleichen Strickmuster, erzählte er vor wenigen Tagen im Interview mit dem Pressestab des Goethe-Instituts. Auf die Wiederverwertung der Schraubverschlüsse von Getränkeflaschen konzentriere Precious Plastic seine Bemühungen deshalb, weil sie aus besonders hochwertigem Kunststoff hergestellt seien und damit gut verarbeitet werden könnten. „Im vergangenen Jahr haben wir sieben bis acht Tonnen davon eingeschmolzen. Und das, obwohl 2020 ein schlechtes Jahr war, weil wegen der Pandemie die Schulen vielfach schließen mussten und dadurch das Aufkommen rückläufig war“, sagt der passionierte Umweltschützer mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Bis 2030 frei von Einweg-Kunststoffen
Denn wenngleich Precious Plastic ein Non-Profit-Unternehmen ist, das unter dem Dach der internationalen Greenwell-Stiftung agiert und unter anderem von der PepsiCo Foundation finanziell unterstützt wird, freut sich Dominic Chakrabongse natürlich über Einnahmen. „Damit schaffen wir weitere Geräte an, wir reinvestieren wirklich jeden Baht in neue Maschinen, um unser Projekt voranzutreiben“, sagt der 30-Jährige, der die Initiative ehrenamtlich leitet. Seine Brötchen verdient er daneben übrigens auch mit dem Umweltschutz – als Berater für die Nichtregierungsorganisation Environmental Justice Foundation Thailand (EJF), wo er mit dem Programm „Net Free Seas“ befasst ist. Mit Unterstützung von Fischfangflotten in Chantaburi, Rayong und Surat Thani ist es damit gelungen, allein im vergangenen Jahr eine Tonne ausgedienter Fischernetze zu bergen und zu recyceln. Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ein Anfang – aber Dominic Chakrabongse ist dennoch zuversichtlich. Endlich habe auch die thailändische Regierung das Problem als solches erkannt, ihr Interesse an neuen Technologien sei groß, positive Schritte seien festzustellen, meint er. Und er hofft: „Bis spätestens 2030 sollte das Verbot von Einweg-Kunststoffen in Thailand definitiv umgesetzt werden können.“